8. März 2019
"Frauenverachtung rüttelt am Konsens der Gleichwertigkeit"
Anetta Kahane im Newsletter der Amadeu Antonio Stiftung, März 2019
Liebe Leserinnen und Leser,
eigentlich wissen wir, wie lange tiefgreifende Veränderungen in der Geschichte brauchen, um in der Lebenswirklichkeit als Normalität gesehen zu werden. Dennoch staunen wir, wenn die errungene Normalität sich als brüchig zeigt, als verletzbar, als leicht umzustoßen. Oder schlimmer noch: wenn wir erkennen, dass es doch noch nicht so weit her ist mit der vermeintlichen Normalität. Es ist gerade 100 Jahre her, dass Frauen in Europa um ihr Wahlrecht kämpften. Dieser Kampf hat lange gedauert, der von Männern gemachte Staat war unerbittlich. Der Kampf hat Leben gekostet und unzählige Frauen landeten in Zuchthäusern. Schaut man sich die Dokumente jener Zeit an, fallen zwei Dinge auf. Zum einen die unfassbare Herablassung der allermeisten Männer, ihre ungebremste Frauenverachtung, die brutale Gewalt gegenüber den Frauen generell und den Kämpferinnen im Besonderen. Frauen waren einfach nicht gleichwertig. Weder in der Ehe, noch in der Öffentlichkeit und sowieso nicht im Beruf. Sie waren keine Menschen, sondern nur Frauen. Sie hatten dem Manne zu dienen, zur Verfügung zu stehen und zu reproduzieren und sonst gar nichts. Schluss, Punkt, Aus.
Was noch auffällt, mir jedenfalls, ist, wie dieses grundlegende Unrecht, diese abstrusen Ungerechtigkeiten in den modernen Gesellschaften Europas rezipiert wurden, welche Rolle sie spielten, wenn es um gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen ging. Die Antwort ist: sie spielten eben keine Rolle. Frauen wurden nicht mitgedacht. Weibliche Perspektiven auf politische oder gesellschaftliche Verhältnisse? Vollkommen undenkbar. So sehr, dass nicht einmal darüber gelacht wurde. Es war den Männern kaum ein Schulterzucken wert. Mit sehr wenigen Ausnahmen natürlich.
100 Jahre ist für die Veränderung in dieser existentiellen, menschlichen Frage eine kurze Zeit. Seit der Einführung des Wahlrechts, besonders aber ab Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich die Gleichstellung der Frau rasant entwickelt. Noch kann die Mission nicht als erfüllt gelten, denn Frauen werden benachteiligt, diskriminiert und durch klassische Rollenbilder in den Familien eingeschränkt. Geschlechtergerechtigkeit ist noch immer ein Ziel, keine Beschreibung unserer Realität. Das alles bedeutet für Frauen eine gewaltige Herausforderung, aber für die Männer auch. Vielleicht sogar noch mehr. Mit der Gleichberechtigung verschwindet eine ganze Welt, es verändert sich alles, die Perspektive, die Kommunikation, die Macht. Für viele Männer ist das eine enorme Provokation. Es stellt ihre Leitbilder infrage und ihr Verhalten. Es verunsichert und macht sie oft wütend. Die Emanzipation der Frauen ist eine so gewaltige Revolution und Quelle von Veränderung in allen Lebensbereichen, dass viele damit nicht klarkommen.
Die extreme Rechte bemüht sich derzeit, den Grundsatz des Rechtsstaats - dass jeder Mensch mit den gleichen Rechten ausgestattet ist - abzuwehren. Was sie wollen ist eine völkische Gemeinschaft mit klaren Rollenbildern, in denen die Frauen wieder kontrolliert werden müssen. Aus diesem Grund nehmen sie jetzt jede sich bietende Gelegenheit wahr, Frauen abzuwerten, zu beschimpfen, zu bedrohen und zu beleidigen. Die öffentlichen Attacken auf Frauen haben enorm zugenommen. Sexismus begleitet den Alltag jeder Frau, die sich öffentlich äußert. Das Gleiche gilt für queere oder Trans*personen. Das Prinzip aber ist, die Frau mundtot zu machen. Alles, was nicht männlich-dominant und weiß ist, hat die Klappe zu halten. Es ist eine Abwehr der Moderne. Es ist eine Abwehr der Menschlichkeit in ihrem grundlegenden Prinzip, die einen nicht über die anderen zu stellen. Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus heute sind das Einstiegstor zu einem Weltbild, das auf Menschlichkeit mit Verachtung blickt. Dieser Rückfall in die Barbarei mit entsprechenden niederen Beweggründen sollte als Warnung gewertet werden. Die demokratische Gesellschaft als Ganzes muss diesen Rechtspopulisten Einhalt gebieten. Anders als vor 100 Jahren. Frauenverachtung zu dulden, ganz gleich von wem und in welcher Form auch immer, hat nichts mit Kavalieren und deren Delikten zu tun, sondern rüttelt am Konsens der Gleichwertigkeit.
Herzliche Grüße,
Ihre Anetta Kahane