In Wurzen regen sich die Bürger. Sie leisten Widerstand. Endlich einmal, möchte man meinen. Die stattliche Zahl von rund hundert Personen war gekommen, um über die geplante künstlerische Kommentierung des Kriegerdenkmals am Bahnhof zu diskutieren. Mehrere Künstlerinnen und Künstler waren gekommen, um die von ihnen dazu eingereichten Entwürfe vorzustellen. Die Moderation hatte der ehemalige Superintendent Horst Schulze übernommen, auch Oberbürgermeister Jörg Röglin war anwesend. Die Diskussion war in Gang gekommen durch die jährlichen Aufmärsche von Neonazis anlässlich des Volkstrauertages. Das Kriegerdenkmal sollte jeweils Ausgangspunkt und Ziel ihres Marsches sein. Es scheint sich also wirklich etwas geändert zu haben in Wurzen gegenüber jenen Zeiten, da das Naziproblem geleugnet wurde und der Ort zur Hochburg der NPD wurde.
7. Mai 2012
Krieg ums Kriegerdenkmal in Wurzen (von V. Wölk)
Hat sich wirklich etwas zum Besseren verändert. Spätestens als Oberbürgermeister Röglin die Veranstaltung vorzeitig verließ, um an der Amtseinführung seines Kollegen Uwe Weigelt in Lossatal teilzunehmen, waren Zweifel angebracht. Zu sehr sah der Abgang nach Flucht aus. Es scheint sich zumindest leider nicht geändert zu haben, dass die Bürgerinnen und Bürger ausreichend in die sie betreffenden Angelegenheiten einbezogen werden. So konnten in Wurzen Widerstände wachsen. Inzwischen hat die CDU eine Unterschriftenkampagne inszeniert, der Altstadtverein kritisiert das Vorhaben nach Kräften. Die Kritiker der künstlerischen Kommentierung des Denkmals waren diesem Abend deutlich in der Mehrheit. Sie scheuten keineswegs, in das gleiche Horn wie die anwesenden Nazis zu stoßen.
Im Juli 1929 schrieb Kurt Tucholsky: „Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie Macht zum Geist.“ Ein Jahr später, 1930, wurde das Kriegerdenkmal in Wurzen eingeweiht. Tucholsky hat bei deutschen Konservativen stets herzlich wenig gegolten. Und auch in Wurzen war am 2. Mai bei der Veranstaltung wenig von „Geist“ zu spüren. Ein anwesendes Mitglied des Netzwerkes für demokratische Kultur (NDK) wurde umgehend angepöbelt, weil er eine Basecap trug. Dies sei ungehörig. Ungehörig fand es die Mehrheit der Teilnehmenden aber offenbar nicht, dass eine der Künstlerinnen wegen ihres Dialektes beschimpft wurde. Originalton in einem Naziforum unter der Überschrift „Das war eine tolle Bürgerstunde“: „Die eine Raguse (Österreicherin) im Kifferlook gab sich nicht einmal die Mühe ihren Slang abzulegen um in Schland zumindest akustisch wahrgenommen zu werden.“ Oftmals war nicht zu unterscheiden, ob es sich um Redebeiträge des NPD-Stadtrates Wolfgang Schroth und seines Umfeldes oder um die anderer Kritiker handelte. Beklatscht wurden die einen wie die anderen.
Für mich sind Kriegerdenkmäler ein Ärgernis. Gerade in einer Zeit, in der deutsche Truppen wieder einmal in aller Welt im Einsatz sind, sollte Pazifismus erste Bürgerpflicht sein. Monumentaler Totenkult verbietet sich. In Wurzen ist das nicht mehrheitsfähig. Noch nicht. Wie wären die Wurzener Bürger wohl mit Kurt Tucholsky umgegangen, wenn er an diesem Abend anwesend gewesen wäre und zu ihnen die Worte gesprochen hätte, die er 1928 in der „Weltbühne“ schrieb: „Wir halten den Krieg der Nationalstaaten für ein Verbrechen, und wir bekämpfen ihn, wo wir können, wann wir können, mit welchen Mitteln wir können. Wir sind Landesverräter. Aber wir verraten einen Staat, den wir verneinen, zugunsten eines Landes, das wir lieben, für den Frieden und für unser wirkliches Vaterland: Europa.“?
Volkmar Wölk
http://www.kerstin-koeditz.de/blog/2012/05/krieg-ums-kriegerdenkmal-in-wurzen/
Mai 7th, 2012 | Von dermarsl | Kategorie: Meine Meinung