11. Mai 2012
Offener Brief an den Vorsitzenden der Wurzener Stadtratsfraktion der CDU Matthias Rieder
Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. Domplatz • 5 • 04808 Wurzen
Matthias Rieder
04808 Wurzen
Offener Brief
Freitag, 11. Mai 2012
Sehr geehrter Herr Rieder,
mit diesem offenen Brief wenden wir, das Netzwerk für Demokratische Kultur e.V., uns an Sie als Fraktionsvorsitzenden der größten Stadtratsfraktion des Wurzener Stadtrates. Wir sind betroffen von der Veranstaltung am 2. Mai 2012 im Plenarsaal des Stadthauses, bei der es um die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges gehen sollte. Offensichtlich ist es in Wurzen nicht mehr möglich, miteinander öffentlich zu reden, ohne sofort in politische Grabenkämpfe zu verfallen.
Wir sind enttäuscht von der Gesprächskultur, die aufrecht zu erhalten sich Superintendent i. R. Horst Schulze redlich aber vergeblich bemühte, und von dem offensichtlichen Versagen des OBM - als Hausherren - in dieser Angelegenheit. Für das Schlimmste allerdings halten wir die Tatsache, dass hier auch durch Ihr Agieren den anwesenden Verfassungsfeinden aus der Neonaziszene eine Plattform gewährt wurde. In der Sache der künstlerischen Bearbeitung des Opferdenkmals können Menschen verschiedener Auffassung sein. Aber sich von den Neonazis deutlich und differenziert abzugrenzen, sollte über Parteiinteressen hinweg für Demokraten eine Selbstverständlichkeit sein.
Im Hinblick auf die Ereignisse bitten wir Sie, zu folgenden Fragen mit uns in einen Dialog zu treten:
1. Im Nachgang der Veranstaltung werden Sie samt der CDU in einschlägigen Foren der Neonazis hämisch als Verbündete genannt (siehe Link). Wie gedenken Sie diesen Schaden für die Demokratie in der Stadt, der alle politischen Kräfte betrifft, wieder zu reparieren?
2. Wieso verspürten Sie nicht als Repräsentant der Stadt Wurzen das Bedürfnis, die menschenfeindlichen und rassistischen Ausfälle mancher im Saal Anwesender gegenüber den Künstlern und Gästen der Stadt zu thematisieren? Dort wäre doch wohl eine deutliche Stellungnahme notwendig gewesen.
3. Wieso leiten Sie aus zu diesem Zeitpunkt 150 gesammelten Unterschriften, bei denen auch noch eine nennenswerte Anzahl von Neonazis stammt, ab, dass dies die Mehrheit der Wurzener_innen repräsentiert? Ist eine schweigende Mehrheit von über 14.000 Bürger_innen für Sie nicht relevant? Und wieso fragen Sie in der Unterschriftensammlung, auf die Sie sich beziehen, nach einer Veränderung des Denkmals, wenn Sie doch wissen, dass eine Veränderung der Substanz in keinem der Entwürfe vorgesehen ist?
4. Der durch das Wurzener Bündnis für Demokratie und gegen Neonazismus angeregte Prozess wird gefördert durch ein Programm der Europäischen Union, welches explizit die Inanspruchnahme durch jedweden Akteur eines Gemeinwesens vorsieht. Wie kommen Sie darauf, dass ein Förderprogramm der Europäischen Union in Wurzen nur durch den Stadtrat zu beauftragen wäre? Wie sieht Ihre Vorstellung von Zivilgesellschaft aus, und wie sehen Sie die berechtigten Forderungen unseres Bundespräsidenten nach Freiheit und Verantwortung aller Bürger_innen des Gemeinwesens?
5. Wir gehen als Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. davon aus, dass der Missbrauch des Denkmals zum „Heldengedenken“ durch Neonazis am und um den Volkstrauertag auch für Sie eine Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung darstellt. Es kann sein, dass die künstlerische Gestaltung um das Denkmal, die diesen Missbrauch verhindern soll, keine Mehrheit findet.
Deshalb hätten wir gern von Ihnen in Ihrer verantwortlichen Position gewusst, welche Vorschläge Sie unterbreiten, um diesem seit zehn Jahren währenden Spuk Einhalt zu gebieten oder ihn demokratisch angemessen ins richtige Licht zu setzen? Bisher gab es unseres Wissens von Ihnen dazu noch keinen Vorschlag!
In der Hoffnung auf einen konstruktiven Dialog mit Ihnen über die benannten Fragestellungen verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen
Doreen Janke (Vorstandsvorsitzende) und Stephan Meister (Mitarbeiter)
für das Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. in Wurzen
Verteiler: regionale und sachsenweite Medien
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Einen Aufruf/ Offenen Brief vom 23.03.2012 gegen "jegliche Art von Veränderungen oder gar Verunstaltungen am Mahnmal" finden Sie unter www.cdu-wurzen.de.