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15. Juli 2023

Solidarität mit Pudding - Unser Statement zu den Geschehnissen rund um die Hausdurchsuchung bei Tobias Burdukat.

Die alte Spitzenfabrik in Grimma ist der Standort des Fördervereins für Jugendkultur und Zwischenmenschlichkeit e.V. Auf dem ehemaligen Fabrikgelände finden seit Jahren Kulturveranstaltung wie das Cross-Over Festival statt, es gibt ein Container-Café und es ist Anziehungspunkt für viele Jugendliche. Das besondere:  Viele Angebote werden seit den Anfängen des Vereins durch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbstbestimmt verwaltet. Am Freitag dem 23.06. zeigt sich allerdings ein anderes Bild: Die Fabrik ist umgeben von Polizeikräften, "umstellt" wie Tobias Burdukat alias Pudding sagt [1]. Er ist Geschäftsführer der Between the Lines gGmbH, die das Gelände privat pachtet. Der Sozialarbeiter gab während der Maßnahme gerade ein Seminar zu Jugendarbeit. Dort wird er durch die Polizei telefonisch kontaktiert und anschließend von den eingesetzten Beamt:innen vom Bahnhof abgeholt. Zuhause werden seine Privaträume durchsucht, sein Handy beschlagnahmt und eine "Gefährderansprache" gehalten. 

Pudding

Womit dieses Aufgebot begründet wird? Dafür müssen wir knappe drei Wochen zurückgehen. In Leipzig findet die sogenannte "Tag X" Demonstration statt. Besser gesagt: die viel diskutierte Demonstration soll stattfinden. Denn die Stadt Leipzig hat diese verboten und schon Tage im Voraus eine Allgemeinverfügung veranlasst, die das "Versammmlungsrecht am Wochenende vom 3./4. eingeschränkt", also sämtliche kollektive und öffentliche Äußerungen zum Antifa Ost-Verfahren untersagt [2]. Als Protest gegen diese Maßnahmen wird eine Demonstration gegen das Versammlungsverbot durch den zivilgesellschaftlichen Verein "Say it loud e.V." angemeldet. In dessen Verlauf werden ca. 1000 Menschen, darunter viele Unbeteiligte, Minderjährige und Kinder in einen über elf stündigen "Kessel" festgehalten - wie Amnesty International berichtet, ohne Zugang zu Trinkwasser, Rettungsdecken oder Sanitäre Anlagen [3]. Demokratische Grundrechte für die wir uns mit unser Arbeit seit Jahren in Wurzen und dem Landkreis  Leipzig jeden Tag einsetzen, werden in unseren Augen scheinbar außer Kraft gesetzt. An dieser Stelle sei auf die zwei WDR Beiträge von "MONITOR" verwiesen, die das Geschehen einordnen und auch mit Betroffenen sprechen [4][5].

Doch was hat das mit der Durchsuchung bei Pudding zu tun? Pudding hatte auf Twitter einen Screenshot einer öffentlich einsehbaren Kurzbiographie mit Foto eines Staatsanwaltes weiterverteilt. Dabei handelt es sich um einen Staatsanwalt der in Vermummung am Versammlungsgeschehen des 3. Juni beteiligt gewesen sein soll. Pudding kommentierte: "Hier auch mal ohne Maske – falls er euch in den leeren Gassen #grimma|s mal über den Weg läuft". Dieser Kommentar wurde von den Behörden als Aufruf zur Gewalt interpretiert. Eine lesenswerte juristische Einschätzung findet sich hier [6]. Pudding selbst kommentiert den Retweet und die darin verwendete Wortwahl in einem Interview, als "dumm formuliert" und das er sich "unmissverständlich [...] von Gewalt distanziere" [7]. Wir wollen versuchen unsere Perspektive darauf zu teilen: Als Netzwerk für Demokratische Kultur sehen wir uns seit unser Gründung mit einer langen Reihe an verbaler, aber auch immer wieder körperlicher Gewalt und Sachbeschädigungen konfrontiert - verübt von rechten oder rechtsextremen Täter:innen. Engagierte berichten immer wieder von Anfeindungen, (Mord-)Drohungen und Übergriffen.

 Für manche mag es eine Frage der Perspektive sein, für uns ist es der Alltag mit dem wir Leben und das Umfeld in dem wir arbeiten. Diese Taten werden zumeist verharmlost, gering geahndet und viel zu oft nicht bzw. nicht mit der notwendigen Vehemenz verfolgt. Im Gegenteil dazu wird, wie Between the Lines in ihrem sehr lesenswerten Statement schreibt: "Wegen eines missglückten Retweets [...] das große Besteck der Hausdurchsuchung und der Gefahrenabwehr aufgefahren [8]." Das ist auch für uns sehr erstaunlich und wirft die Frage nach Verhältnismäßigkeit auf.

Auch Pudding teilt einen Alltag, der von einer rechten Hegemonie geprägt ist - seit den sogenannten Baseballschlägerjahren der 90er Jahre, bis heute. Vielleicht ist er gerade deshalb ein so engagierter Mensch geworden, der sich seit vielen Jahrzehnten für die Region einsetzt, in der er lebt. Gegen viele Widerstände hinweg, aber respektvoll im Umgang mit anderen Menschen - auch wenn er deren Meinungen nicht  immer teilt. Unser Verein ist nun schon seit fast 20 Jahren mit Pudding verbunden. In der Projektarbeit, aber auch persönlich. Wir schätzen sein Engagement und seine Ideen, vor allem aber seinen unbedingten Einsatz für die Beteiligung junger Menschen bei der Schaffung und Gestaltung ihrer Räume. Er unterstützt seit etlichen Jahren die demokratische Arbeit im ländlichen Raum und das mit so viel Herz, wie wir es selten erlebt haben und erleben. Damit sind wir nicht alleine: Projekte an denen Pudding mitwirkt, sind in den vergangenen Jahren mit etlichen Preisen ausgezeichnet worden. Aus diesem Grund stellen wir uns solidarisch als Verein hinter Pudding und seine Arbeit und kritisieren das Vorgehen von Staatsanwaltschaft und Polizei im Zusammenhang mit dem Vorwurf gegen ihn. Mit der Hausdurchsuchung wurde ein Bild von ihm als Krimineller gezeichnet, der einer Gefährderansprache bedarf - das Gegenteil ist der Fall. Daher ist es uns ein wichtiges Anliegen auf eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungen hinzuweisen - auch vor dem Hintergrund, dass viele solcher Maßnahmen im Nachhinein durch Gerichte als rechtswidrig eingestuft werden [9].

Der Fall von Pudding steht für uns aber auch exemplarisch für eine grundsätzliche Schieflage in Bezug auf den staatlichen Umgang mit der engagierten demokratischen Zivilgesellschaft. Dies zeigt sich einerseits an einem versteckten oder offenen immer wiederkehrenden Mißtrauen gegenüber Vereinen und Engagierten. Dies zeigt sich aber auch beim Umgang von Ermittlungsbehörden bei Angriffen auf Häuser, Büros oder Personen, die sich in von außen als "links" gelesenen Vereinen engagieren. Die Arbeit dieser Vereine wird immer wieder als nicht notwendig und die Gefahrenlage als nur herbeigeredet eingeschätzt. In diesem Zusammenhang sehen wir die Durchsuchung auch als Maßnahme, die eine Folge dieses gesellschaftlichen Diskurses ist und ihn gleichzeitig befeuert. Als zivilgesellschaftliche Initiative, die ebenfalls vielen Anfeindungen ausgesetzt ist, sind wir darüber sehr besorgt und können und wollen es nicht unwidersprochen stehen lassen.

Wir stehen hinter der wichtigen und notwendigen Arbeit der Menschen, die sich in der alten Spitzenfabrik dem Ort der Demokratie in Grimma engagieren. Hier gibt es die Möglichkeit den Verein (finanziell) zu unterstützen: https://betweenthelines.gmbh/unterstuetzung/

 

[1] https://la-presse.org/hausdurchsuchung-sozialarbeiter/

[2] https://www.leipzig.de/news/news/versammlungsrecht-am-wochenende-eingeschraenkt

[3] https://amnesty-polizei.de/stellungnahme-zum-sogenannten-polizeikessel-in-leipzig/

[4] https://youtu.be/ucTvekUBedc

[5] https://www.youtube.com/watch?v=HVA4HvwftUo

[6] https://verfassungsblog.de/gefahrdung-via-retweet/

[7] https://la-presse.org/hausdurchsuchung-sozialarbeiter/

[8] https://betweenthelines.gmbh/2023/07/03/demokratiearbeit-eine-frage-der-verhaeltnismaessigkeit/

[9] https://www.lvz.de/lokales/leipzig/durchsuchungen-in-connewitz-drei-beschluesse-waren-rechtswidrig-7F6TCDVZ2B5XTTWL2L5EU4R4EU.html

[10] https://betweenthelines.gmbh/unterstuetzung/

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