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6. Mai 2022

Teil 2: Das Wechselspiel von NPD, AFD und NFW

Artikelserie des NDK zu extrem rechten Strukturen auf der Plattform Belltower.News

Extrem rechte Parteien belegen schon lange Plätze im Wurzener Stadtrat. Dabei wechseln vor allem die Parteinamen. Beim zweiten Teil unser Recherchereihe auf Belltower News geht es um Kontinuitäten und Wiederbelebungen von NPD, AfD und NFW.

Den vollständigen Text findet ihr hier oder unter 'weiterlesen'.

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Das Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. (NDK) engagiert sich seit über 20 Jahren in Wurzen und der Region für die Stärkung der demokratischen Kultur, für mehr Beteiligung aller Menschen sowie für Offenheit und Vielfalt. Dies alles tun wir, um den tief verwurzelten und langlebigen rechtsoffenen bis hin zu extrem rechten Positionen eine starke Zivilgesellschaft entgegenzusetzen. Dabei stellt es einen wichtigen Baustein für uns dar, die rechten Strukturen und deren Handeln vor Ort sichtbarer und damit zum Thema zu machen. Es reicht eben nicht nur, dass wir etwas wissen, wir müssen dieses Wissen auch mit anderen teilen, um ein gemeinsames Problembewusstsein zu schaffen. Unser 20-jähriges Jubiläum haben wir zum Anlass genommen, um zurück, aber auch in die Gegenwart zu schauen. Dabei haben uns verschiedene Themen und Aspekte der rechten Szene in der Region Wurzen beschäftigt. In unserer Artikel-Serie wollen wir unterschiedliche Bereiche skizzieren und überblicksartig darstellen. Die Artikel der vierteiligen Serie erscheinen jeweils zu Beginn des Monats.

Während der erste Beitrag die parteinahen, aber aktionsorientierten „Junge Nationalisten“ in der Region zum Thema hatte, widmete sich der folgende Beitrag den Entwicklungen in der extrem rechten Parteilandschaft Wurzens. Weitere Teile erscheinen am 1.6. sowie 1.7.2022.

 Alter Wein in neuen Schläuchen

Ein Überblick zu den Entwicklungen, Inhalten und Akteur:innen extrem rechter Parteien in Wurzen

Versucht man sich im Jahr 2022 an einer Zustandsbeschreibung der „Nationaldemokratischen Partei Deutschland“ (NPD), fällt diese desaströs für die ehemals einflussreichste extrem rechte Partei in der Bundesrepublik aus (siehe Belltower.News). Ein rapider Mitgliederschwund, innerparteiliche Flügelkämpfe und eine ausbleibende Modernisierung spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Entstehung der „Alternative für Deutschland“ (AfD), extrem rechter Kleinparteien sowie selbsternannter „Bürgerinitiativen“. Diese bundesweiten Entwicklungen lassen sich, gepaart mit lokalen Besonderheiten, an der sächsischen Kleinstadt Wurzen nachvollziehen.

Wahlerfolge der NPD in den 2000er-Jahren

In den 1990er-Jahren bildete sich in Wurzen eine starke neonazistische Szene, die neben aktionsorientierten Neonazis von verschiedenen extrem rechten Gruppierungen wie der „Wiking-Jugend“ oder der „Aktion Neue Rechte“ getragen wurde. Bereits in dieser Zeit verankerte sich die NPD in der Stadt und integrierte Teile der neonazistischen Szene in ihre Parteistrukturen. Ein 1996 von Neonazis besetztes Haus wurde von der NPD zeitweilig als ein „Nationales Zentrum“ betrieben und stellte laut dem damaligen sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten das „wohl wichtigste Zentrum der Neonazis in Deutschland“ dar (siehe RAA Sachsen). Trotz der Schließung des Objekts durch die kommunale Verwaltung gelang es der NPD zum Ende der 1990er-Jahre, sich ideologisch, personell und infrastrukturell in der Stadt zu etablieren und an ihrem Ziel einer „National befreiten Zone“ in Wurzen zu arbeiten (siehe Die Zeit). Bei der Kommunalwahl 1999 erhielt die Partei 5,1% der Stimmen und zog in Person des Kaders Marcus Müller erstmals in den Stadtrat ein. Diese Zustimmung sollte sich in den kommenden Jahren verstetigen. Bei der darauffolgenden Stadtratswahl im Jahr 2004 konnte die NPD ihren Zuspruch bei den Wähler:innen mehr als verdoppeln. Sie errang 11,8% der Stimmen, entsandte drei Abgeordnete in den Stadtrat und erhielt den Fraktionsstatus. Der lokale Erfolg in Wurzen ist dabei vor dem Hintergrund des allgemeinen Aufstiegs der NPD in verschiedenen, zumeist ostdeutschen Bundesländern in den 2000er-Jahren zu betrachten. Bei der ebenfalls 2004 stattfindenden Landtagswahl zog die NPD mit 9,2% in den sächsischen Landtag ein, in Wurzen entfielen gar 11,4% der Stimmen auf die Partei. Die vom Journalisten Toralf Staud als „Faschisierung der Provinz“ bezeichnete Strategie der NPD, sich im ländlichen Raum zu verankern und neben kulturellen Angeboten auch politische Ämter zu besetzen, schien aufzugehen. Vereinzelte Risse zeigten sich bei den Kreistagswahlen 2008. Hier musste die NPD in Wurzen Verluste hinnehmen, holte jedoch weiterhin 7,3% der Stimmen in der Stadt. Sachsenweit betrachtet, stabilisierte die NPD ihre Stimmenanteile sogar und schaffte es, sich in der Fläche zu etablieren. Einen erheblichen Einbruch musste die NPD somit erst verzeichnen, als sich mit der AfD eine neue Partei am rechten Rand etablierte.

In Wurzen verklebter NPD-Sticker. Quelle: NDK

Die Alternative zur NPD

Neben inhaltlichen Schnittmengen und sich mitunter bis aufs Wort gleichenden Wahlslogans einte die NPD und die AfD phasenweise der Mangel an geeigneten Kandidat:innen, um landesweit Listen aufzustellen und errungene Mandate besetzen zu können.

In Wurzen führten Verwerfungen innerhalb der NPD dazu, dass sie bei der Kommunalwahl 2014 nicht mehr antrat, während sich die AfD im ländlichen Raum erst im Aufbau befand und aus diesem Grund noch nicht für Sitze im Stadtrat kandidierte.

Die eine Legislaturperiode andauernde Abwesenheit extrem rechter Parteien im Wurzener Stadtrat sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie stabil das extrem rechte Wähler:innenpotenzial in der Stadt blieb. Dies zeigte sich bereits bei den wenige Monate später stattfindenden sächsischen Landtagswahlen. Hier wählten 4,8% der Wurzener:innen die NPD und 9,1% die erstmalig angetretene AfD. Ohne auf genauere Untersuchungen zur Wähler:innenwanderung zurückgreifen zu können, deutet sich hier eine Verschiebung im extrem rechten Parteienspektrum an, die sich in der Folge fortsetzen sollte. Während die NPD zunehmende Zerfallserscheinungen zeigte, etablierte sich die AfD in Sachsen, im Landkreis Leipzig und in der Stadt Wurzen.

So versank die NPD bei den Landtagswahlen 2019 mit 0,8% in der Bedeutungslosigkeit, die AfD hingegen scheiterte mit einem Stimmenanteil von 31,7% nur knapp daran, die stärkste Partei in der Stadt zu werden. Dabei ist insbesondere der für Wurzen zuständige „AfD Kreisverband Landkreis Leipzig“ wiederholt mit antisemitischen und verschwörungsideologischen Verlautbarungen aufgefallen (siehe Informationsdienst zur AfD in Sachsen). Und erst vor kurzem demonstrierte die AfD rund um den Landtagsabgeordneten Jörg Dornau unmittelbar vor einer Geflüchteten-Unterkunft in der unweit von Wurzen gelegenen Ortschaft Mark Schönstädt. In Sozialen Online-Netzwerken rief die AfD dazu auf, die „Asyflut in Mark Schönstädt zu stoppen“, und verwendete damit eine Parole, die seit Jahren zum propagandistischen Inventar der NPD gehört. Dass diese weiterhin lokale Leerstellen der AfD zu füllen im Stande ist, zeigt sich beim Blick auf die Kleinstadt Trebsen nahe Wurzen. Dort verzichtete die AfD bei der Kommunalwahl 2019 auf eine eigene Liste. So gelang es dem Einzelkandidat der NPD, einen Stimmenanteil von 9,9% und einen Sitz im Stadtrat zu erringen.

Kundgebungsaufruf des AfD-Landtagsabgeordneten Jörg Dornau, Quelle: Screenshot des Telegram-Kanals „Jörg Dornau, MdL“ (aufgenommen 17.4.2022)

Neues Forum – alte Bekannte

Konnte sich die AfD bei den Landtagswahlen 2019 über eine Alleinherrschaft am extrem rechten Parteienrand freuen, muss sie sich die lokale Bühne des Stadtrats seit der ebenfalls 2019 stattgefundenen Kommunalwahl mit einem neuen Akteur in der Wurzener Parteienlandschaft teilen. Mit dem „Neuen Forum für Wurzen“ (NFW) gründete sich 2018 ein Verein, der mit einer Liste von sieben Kandidaten bei der ein Jahr später stattfindenden Stadtratswahl antrat. Während die AfD dabei 15,7% der Stimmen erhielt und vier Sitze im Stadtrat eroberte, folgte ihr das NFW mit 10,9% und drei Abgeordneten.

Beide Parteien verband dabei ein Fokus auf die Migrationspolitik unter Bezugnahme auf einen rassistisch geprägten Diskurs um die Themenfelder Flucht und Asyl. So war es, wie in vielen Teilen Deutschlands, seit 2014 vermehrt zu rassistischen Kundgebungen und Demonstrationen lokaler Bündnisse gegen die Asylpolitik und die Unterbringung von Geflüchteten gekommen. Diese drückten sich in Gewalttaten aus (siehe Belltower.News) und fanden neben der AfD vielerorts in extrem rechten „Bürgerinitiativen“ Formen der Institutionalisierung. In vielen Fällen versuchten bekannte Akteur:innen der extremen Rechten, getarnt als lokale Bürger:inneninitiativen, auf kommunaler Ebene Wahlerfolge einzufahren und hatten damit, wie im Falle des NFW, Erfolg (siehe Belltower.News). Tonangebend war dabei bis zu seinem Rückzug aus der Politik im Jahr 2020 vor allem der Wurzener Christoph Mike Dietel. Dieser hetzte im analogen und digitalen öffentlichen Raum gegen Migrant:innen sowie Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und insbesondere gegen das „Netzwerk für Demokratische Kultur e.V.“ (NDK). Kontakte pflegte Dietel dabei unter anderem nach Cottbus, wo er bei der extrem rechten Initiative „Zukunft Heimat“ als Redner sprach. Im Gegenzug kam mit Hans-Christoph Berndt der dortige Initiator zu einer Veranstaltung nach Wurzen. Ähnlich wie Berndt, der inzwischen Fraktionsvorsitzender der brandenburgischen AfD geworden ist, besitzt auch das NFW eine Nähe zur AfD, die sich in gemeinsamen Veranstaltungen oder Anträgen im Stadtrat ausdrückt.

Überregionale Bekanntheit erlangte das NFW vornehmlich durch den extrem rechten Hooligan Benjamin Brinsa, der seit der Kommunalwahl 2019 das Amt eines Stadtrats bekleidet. Mit Brinsa wurde damit eine Person in ein demokratisches Amt der Stadt gewählt, die seit Jahren über Verbindungen in extrem rechte Kampfsport- und Hooligannetzwerke verfügt und Kontakte in die aktionsorientierte neonazistische Szene in Wurzen unterhält. Der Schulterschluss von Rechtspopulisten und extrem rechten Kampfsportlern findet seine Erweiterung in Form eines ehemaligen Wurzener NPD-Stadtrats, der vom NFW als „sachkundiger Einwohner“ in einen Ausschuss des Stadtrats berufen wurde. Der NPD-Mann, der lange Zeit im örtlichen Fußballverein aktiv war, ist mehrfach vorbestraft und war Teil eines organisierten Neonaziangriffs auf den Leipziger Stadtteil Connewitz im Januar 2016.

Im Stadtrat und den Sozialen Online-Netzwerken verhält sich das NFW seit dem Rückzug von Christoph Dietel erkennbar ruhiger und scheint immer engere Verbindungen mit der AfD einzugehen. Der Verein des NFW hat sich Anfang 2022 bereits aufgelöst und die Facebook-Seite der Stadtratsfraktion wird zunehmend als Verstärker von Statements und Inhalten der AfD genutzt. Für die im Juni 2022 anstehende Wahl des/der Oberbürgermeister:in gab das NFW bereits eine Wahlempfehlung für den Kandidaten der AfD, Bodo Walther, heraus. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Verhältnis der beiden extrem rechten Parteien im Wurzener Stadtrat entwickelt.

Ausblick

Der Abriss über die parlamentarischen Erfolge und Entwicklungen extrem rechter Parteien in Wurzen verdeutlicht, dass es dauerhaft ein stabiles Potenzial an Wähler:innen für extrem rechte Parteien in der Stadt gibt. Dabei werden diese Parteien von einem Großteil der Wähler:innen weniger trotz, sondern vielmehr wegen ihrer Verankerungen in der extremen Rechten gewählt, worauf die über Jahrzehnte hinweg andauernd hohen Zustimmungswerte verweisen.

In Zukunft gilt es zu beobachten, wie sich die in Wurzen sehr präsenten Mobilisierungs- und Sammlungsversuche des Protestpotenzials gegen die Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie in parteipolitische Zustimmung übersetzen lassen. Zwar versucht sich die AfD diesen Protesten anzudienen, wird aber von vielen federführenden Akteur:innen aus der verschwörungsideologischen Szene als zu staatstragend betrachtet. Bei den Protesten sehr präsent ist hingegen die extrem rechte Kleinpartei „Freie Sachsen“ (siehe Belltower.News). Unter Ägide des extrem rechten Anwalts Martin Kohlmann und bundesweit bekannter Neonazis wie dem ehemaligen Dortmunder Michael Brück arbeitet diese Partei gegenwärtig daran, in der Stadt Grimma und dem Landkreis Nordsachsen mit eigenen Kandidat:innen an den kommenden Landrats- und Oberbürgermeister:innenwahlen teilzunehmen. Immerhin von diesen Versuchen bleibt Wurzen, zumindest vorerst, verschont.

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